Warum verwende ich nicht das Gendersternchen? Die Stadt Hannover schreibt beispielsweise seit März 2019 in amtlichen Schreiben geschlechtsneutrale Begriffe vor.

Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“ (Ludwig Wittgenstein). Das würde es doch nahelegen, das Gendersternchen, oder das Binnen-I zu verwenden?

Ich handhabe das aber nicht so, sondern verwende überwiegend die bisher übliche Form. Und zwar aus zwei Gründen. Zum Einen wird sonst die Lesbarkeit beeinträchtigt:

Zwar heißt es zum Beispiel in einem österreichischen Lesebuch für Sechs- bis Zehnjährige z.B.:
„Eine/r ist Zuhörer/in, der/die andere ist Vorleser/in. Eine/r liest den Abschnitt vor, der/die Zuhörer/in fasst das Gehörte zusammen.“ Viel Spaß beim Lesenlernen. (Zitiert nach KIELER NACHRICHTEN vom 08.03.2019, S. 3, ‚Der Stern des Anstoßes‘.)
Solche „gendergroteske Sprachirrungen“, die zur „eigenen Karikatur“ werden und den Sprachfluss zerstören (Bettina Levecke: Deutsche Sprache = Männersprache? Vom Versuch einer „Geschlechtsumwandlung“. In: Goethe-Institut, September 2006) möchte man doch niemandem antun, und schon gar nicht Kindern.

Und: Sprachhistorisch ist es auch unzutreffend, dass die Bezeichnung „Bäcker“ nur Männer umfasste und Frauen ausschlösse. Explizit sind nämlich mit dieser Bezeichnung weder Frauen noch Männer gemeint, denn das Wortgeschlecht (Genus) ist nicht deckungsgleich mit dem natürlichen Geschlecht (Sexus). Die angebliche „Vermännlichung“ der Sprache entpuppt sich in Wirklichkeit nur als die Verwechselung von grammatikalischem und biologischem Geschlecht.
Und wer aus „Bäcker“ zukünftig „Backende“ machen möchte, muss ja auch die Frage beantworten, was die dann nach Feierabend sind? Backende, die gerade nicht backen?

Nicht der Mensch spricht sich durch die Sprache aus, sondern die Sprache sich in ihm“ (Walter Benjamin). Ich erinnere mich an eine Frau aus einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, die ich zu der Grundstücksangelegenheit dieser LPG in der ehemaligen DDR anhörte, und die mir auf die Frage nach ihrem Beruf völlig selbstverständlich sagte „Ich bin Traktorist“. Sie sagte nicht „Ich bin Trecker- und Mähdrescherfahrende“. Und sie meinte sich als Frau. Und ähnliches erlebte ich immer wieder. Es ist also die eigene Voreinstellung, die Interpretation, die die Bedeutung evoziert. Dass sich eine Frau bei Verwendung des generischen Maskulinum nicht mit angesprochen fühlt, scheint also möglicherweise weniger ein linguistisches Problem zu sein, als vielmehr ein ein psychosoziales und eines des eigenen Vorverständnisses.

Natürlich kann man sich auch den Kopf über die Frage zermartern, warum es nun einmal „der Löffel“, „die Gabel“, „das Messer“ heißt.

Ich möchte korrekt sein und vermeide deshalb das Gendersternchen ebenso, wie das Binnen-I und schon gar das angehängte x. (Im Gegensatz beispielsweise zu der Berliner Linguistin Lann Hornscheidt, einx ehemaligx Professx.) Allerdings ändert sich die Sprache beständig. Und für bestimmte Formen hat sich der Sprachgebrauch mittlerweile gewandelt, zum Beispiel wird heute bei dem Lehrer, dem Arzt, dem Rechtsanwalt nicht mehr ohne Weiteres davon ausgegangen werden können, dass hiermit Frauen und Männer gleichermaßen bezeichnet werden, weshalb es von Fall zu Fall geboten ist, hier Frauen explizit anzusprechen (also zum Beispiel von den Lehrerinnen und Lehrern einer Schule zu sprechen. Mir scheint allerdings die Aussage „Ich muss mal einen Arzt aufsuchen“ nicht zu bedeuten, dass eine Ärztin nicht in Betracht gezogen wird). Hierüber mag aber das jeweilige Sprachgefühl im Einzelfall entscheiden. Auch, zum Beispiel statt der „Studenten“ die „Studierenden“ anzusprechen, hat sich im Sprachgebrauch mittlerweile durchgesetzt. Wenn auch „betrunkene Studierende“ ein Widerspruch zu sein scheint: Kann man noch studieren, wenn man betrunken ist? Aber auch das mag von Fall zu Fall entschieden werden. Für die „Backenden“ oder die „Zufußgehenden“ in der „FußgännerInnenzoneist die Zeit aber wohl noch nicht reif.

Die Vorstellung, sämtliche Gesetztestexte würden eines Tages gegendert werden, wäre allerdings ein Horror. Und zudem extrem menschenverachtend, weil die schon jetzt oft kaum verständlichen Gesetzestexte dann nur noch von Juristen und Spezialisten decodiert werden könnten und so den Ansatz eines Gesetzgebers, Gesetze auch allgemeinverständlich zu formulieren, ad absurdum führen würde.

§ 110 BGB würde etwa lauten:

„Bewirken der Leistung mit eigenen Mitteln

Ein von dem oder der Minderjährigen ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder der gesetzlichen Vertreterin geschlossener Vertrag gilt als von Anfang an wirksam, wenn der oder die Minderjährige die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm oder ihr zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung von dem Vertreter oder der Vertreterin oder mit dessen oder deren Zustimmung von einem oder einer Dritten überlassen worden sind.“